Tagesschulen – ein längst fälliges Angebot der öffentlichen Schulen

06. Jun 2018 /

Die gesellschaftlichen Strukturen – vor allem in den Städten – ändern sich rasant, öffentliche Einrichtungen brauchen oft lange, um sich daran anzupassen. Am 10. Juni 2018 haben die Stimmbürgerinnen und Stimmbürger der Stadt Zürich Gelegenheit, an der Urne die Einführung der Tagesschule an 24 weiteren Schulen gutzuheissen. Ein wichtiger Schritt in die Zukunft – die Kids werden es uns danken.

Für private Schulen gehört das Angebot einer ganztägigen Betreuung von Schülerinnen und Schülern seit Langem zu einer Selbstverständlichkeit. Nun sollen auch die Zürcher Kinder eine ganztägige Betreuung erhalten können, wenn die Eltern dies wünschen. Dass das Angebot auch Erweiterungen – sogenannte ungebundene Betreuungsangebote – vorsieht, die optional wählbar sind, ist bemerkenswert und wohl für viele beruflich engagierte Elternpaare eine echte Entlastung und für deren Kids eine tolle Chance. Manche mögen zwar kritisieren, dass dadurch Freizeit und Schule zu sehr verschwimmen, aber eine klare Trennung der beiden Bereiche ist nicht mehr zeitgemäss.

Ein Lichtblick für die Lehrpersonen

Aus Sicht der Lehrpersonen ist die Betreuung der Kids bei den Hausaufgaben zentral. Wenn die Schülerinnen und Schüler alle ihre Hausaufgaben vollständig und seriös erledigt haben, nimmt der Druck im Schulalltag ab und die Schulprogramme können vorangetrieben werden, ohne dass ein Teil der Klasse zurückbleibt und den Gang des Unterrichts verlangsamt.

Auch wenn die Wirksamkeit der Hausaufgaben in neuerer Zeit wissenschaftlich infrage gestellt wird, für erfahrene Lehrpersonen sind nach- oder vorbereitende Hausaufgaben der Schülerinnen und Schüler immer noch entscheidend und können eine kompensatorische Wirkung haben. Absolut zentral ist, dass die Hausaufgabenbetreuung von Fachpersonen geleistet wird. Blosses, gut gemeintes „Kinderhüten“ bringt niemandem etwas und würde den Erfolg des ganzen Angebots gefährden.

Kinder vom Bildschirm holen

Vor einigen Jahren hätte man sicher noch argumentiert, dass es wichtig sei, die Jugendlichen von der Strasse zu holen, heute ist es wohl eher der Bildschirm, der eine magische Anziehungskraft ausübt. Eine ausserschulische Betreuung muss dem Bewegungsdrang und der Freude an der sozialen Interaktion der Jugendlichen gerecht werden. Somit ist Teamsport ein Muss für ein Betreuungsprogramm. Bekanntlich fördert der geleitete Teamsport Selbst- und Sozialkompetenzen sowie Disziplin und Fairplay.

Weiter wären Angebote im Bereich des Musizierens, des bildnerischen Gestaltens und auch des Theaterspielens als Ausgleich zum schulischen Alltag wichtig. Wahlmöglichkeiten würden verhindern, dass die Kids die neuen Angebote als Pflichtübung erleben, und stattdessen mit Enthusiasmus dabei sein und ihren Horizont ohne schulische Drucksituation erweitern könnten.

Angebote, die sie im täglichen Leben höchstens virtuell konsumieren, wären eine sinnvolle und wertvolle Ergänzung zum Schulalltag. Eventuell könnten sogar Aktivitäten mit direktem Bezug zum Schulalltag angeboten werden, bei denen zum Beispiel akademische Erkenntnisse spielerisch angewendet und erlebt werden können.

Interessante, auch mal unkonventionelle Programme, die eine Schule nicht anzubieten vermag, könnten „outgesourct“ werden. Entsprechende Anbieter gibt es zuhauf.

Klare Regeln und definierte Verhaltensweisen

Die zukunftsweisenden neuen Angebote werden dann zum Erfolg, wenn klare Regeln aufgestellt und deren Beachtung auch eingefordert wird. Besonders wichtig scheint gerade heute ein geregelter Medienkonsum, um den nötigen Freiraum und die erforderliche Aufmerksamkeit für die vorgesehenen Aktivitäten zu erhalten. Verstösse gegen die Regeln müssen sanktioniert werden, um eine positive, konstruktive Atmosphäre zu garantieren. Andernfalls werden Eltern, die sich ein „Summerhill-Chaos“ in der Ganztagesbetreuung nicht vorstellen können, ihre Kinder nicht weggeben oder eine andere, private Lösung anstreben, was letztlich eine unerwünschte Segregation der Schülerschaft in den Betreuungszeiten bedeuten würde.

Balz Müller


Quellen: 


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